Am 17. und 18. Mai 2019 war das nordhessische Vellmar die hessische Hauptstadt des Kabaretts. Am Freitag und Samstag wurde dem Publikum feinstes Kabarett mit einem dezenten Hauch von Comedy geboten.
Nach der Eröffnung durch Vellmars Bürgermeister Manfred Ludewig brachte Moderator und Kabarettist Bernd Gieseking das Publikum in Stimmung. Charmant, witzig und teilweise scharfzüngig begleitete er Publikum wie Künstler durch den Abend.
Den Auftakt machte am Wettbewerbsabend die kleine Singer und Songwriterin mit Herz – Miss Allie aus dem niedersächsischen Lüneburg. Von der ersten Minute an zog sie das Publikum in ihren Bann und begeisterte mit ihrer offenen und fröhlichen Art. Miss Allie arbeitete in ihrem 30-minütigen Programm so ziemlich alles ab, was ihr bisher widerfahren ist. Sei es die Erfahrung mit einem ihrer Ex-Freunde, die neu auf dem Markt erschienen Bio-Tampons oder das Regel-Tagebuch Dieter. Kaum ein Auge blieb bei Miss Allie trocken.
So war es dann auch bei Stefan Waghubinger, der mit nichts außer einem alten Pappkarton die Vellmarer Bühne betrat. Eigentlich musste der sympathische Österreicher nichts sagen, er wusste ja eh schon, was passiert. Mit seinem trockenen, alpenländischen Humor erzählte Waghubinger aus seinem Leben, welches für ihn alles andere als schön war – das fing schon früh an. Erst scheiterte er als Kind mit dem „Cool-Sein“, was ein schweres Kindheitstrauma bei ihm auslöste. Das steigerte sich dann noch darin, dass er eine Strickjacke von den Eltern geschenkt bekam, in der er aussah wie Captain Kirk. Es fühlte sich eben cool an, aber nur solange er keinen Spiegel fand. Stefan Waghubinger brachte dem Saal zum Lachen, gleichzeitig aber auch ein wenig zum Nachdenken, weil man ihn immer noch als den kleinen Jungen sah, der „Cool“ sein wollte – in Vellmar war er es.
Das Duo BlöZinger aus der Alpenrepublik Österreich war extra für den Hessischen Kabarettpreis ins Nordhessische Bergland gekommen – eine Gegend, die den beiden Kabarettisten nicht fremd sein sollte – und so war es auch. Der Funke sprang vom Betreten der Bühne umgehend auf das Publikum über. Die adretten Österreicher, die sich im Jahr 2001 bei den CliniClowns in ihrer Heimatregion Linz kennengelernt haben, nahmen die Zuschauer mit auf eine Autofahrt, die sie zur Trauerfeier ihres Vaters führen sollte. Dabei spielten die beiden ein Brüderpaar, welches von ihrer am Tourette-Syndrom erkrankten Tante Drude begleitet wurde. Faszinierend an BlöZinger ist die perfekte Mischung aus Wort und schauspielerischer Leistung, die teils skurrile Züge annahm – ausschließlich positiv.
Trocken und humorvoll – aber zu keiner Zeit langweilig. Liza Kos rundete den ersten Abend des Hessischen Kabarettpreises ab. Gewohnt launisch, aber sehr unterhaltsam mimte die gebürtige Russin eine kopftuchtragende Türkin auf der Suche nach Selbstbehauptung und Integration. Kos, die ihr Publikum auf eine ganz besondere Art und Weise zu unterhalten versteht, war sich der Sympathie des Publikums schnell sicher.
Jeder der Künstler hat sich auf seine Art und Weise beim diesjährigen Hessischen Kabarettpreis in die Herzen der Zuschauer gespielt – ABER – es kann nur einer bzw. zwei gewinnen. Miss Allie hat mit ihrer eloquenten, charmanten und ehrlichen Art das Publikum überzeugt und bekam den Publikumspreis überreicht – die Jury von sich überzeugen konnte Stefan Waghubinger mit seinem Kindheitstrauma.
Am zweiten Tag des Hessischen Kabarettpreises bekamen Miss Allie und Stefan Waghubinger Ihre Preise überreicht – natürlich typisch hessisch. Miss Allie konnte sich über Handkäs mit oder ohne Musik freuen, Stefan Waghubinger bekam die Frankfurter Bethmännchen.
Bereits im Vorfeld des diesjährigen Kabarettpreises hatte die Jury dem jungen Bayern Martin Frank den Förderpreis zugesprochen. Der in der Drei-Flüsse Stadt Passau geborene Frank ist zurzeit mit seinem Soloalbum „Es kommt, wie es kommt“ in Bayern und dem Rest von Deutschland unterwegs. Dabei überzeugt er nicht nur mit Witz und Charme, auch seine gewaltige Gesangsstimme kann sich durchaus in manch einem Opernhaus hören lassen. Beeindruckt von Stimm- und Kabaretttalent dachte sich so mancher Zuschauer, ob sich der Bachelor bei der Konkurrenz überhaupt noch auf die Straße trauen kann.
Das Highlight des diesjährigen Hessischen Kabarettpreises war die Verleihung des Ehrenpreises an das –durchaus charmant und liebevoll gemeint- Urgestein des deutschen Kabaretts – Urban Priol. Wie Laudatorin Pia Bluhm bereits feststellte, hat Priol einen ganz feinen Sinn für aktuelle und aufrüttelnde Themen und weiß jederzeit genau, was sein Publikum von ihm hören möchte.
Scharfzüngig und hart, aber immer stilvoll und keinesfalls verletzend oder gar persönlich geht er mit Politikern und prominenten Zeitgenossen ins Gericht – aber, immer auf Augenhöhe. Eigentlich kann man ihm auch gar nicht böse sein, dem Urban Priol. Völlig zu Recht bekam der Kabarettist daher den Ehrenpreis der Jury.
Eine rundum gelungene und kurzweilige zweitägige Verleihung des Hessischen Kabarettpreises hatte das Team um die Organisatoren Pia Bluhm und Vanessa Bischoff auf die Beine gestellt. Wieder einmal wurde bewiesen, dass auch in Nordhessen ein ordentliches Programm auf die Beine gestellt werden kann.
(Fotos: Michael Artelt)